Gerade bin ich wieder zurück in meine Wohnung. Mein Atem ist schwer und meine Wangen glühen. Seit einer Woche hat mich eine sehr starke Erkältung, ein weiteres Mal in kürzester Zeit, wieder fest im Griff. Seit Tagen lieg ich in meiner Wohnung herum. Seit Tagen schlafe ich, schaue fern oder lese. Seit Tagen kein physischer, echter, menschlicher Kontakt. Nur Gedanken. Die Unruhe und Ungeduld ist schon gigantisch. Ich mag endlich wieder fit sein. Fit für das Leben da draußen. Für die Menschen da draußen. Heute fühle ich mich das erstemal fit genug um rüber ins Shopping Center zu gehen um ein paar Besorgungen zu machen. Bereits die 300m ins Geschäft rüber sind anstrengend. Die ersten Menschen begegenen mir, ich freue mich, stecke aber dennoch meinen Kopf noch weiter in den Mantel, weil ich mich schrecklich fühle. Schrecklich krank, schrecklich hässlich. Meine Haut rund um meine Nase vom Schupfen gerötet. Mein Gesicht schrumpelig und kasig vom vielen Liegen ohne Tageslicht. Ich fühle mich nicht schön und annehmbar und hoffe niemand erkennt mich, obwohl ich mich nach einer liebevollen Aufmerksamkeit sehne.
Der Hartlauer-Verkäufer lächelt mich an. „Ja ihre Brille ist bereits da, zum Anpassen müssen Sie aber Ihre Kontaktlinsen rausnehmen,“ informiert er mich. „Gerne,“ höre ich mich sagen und steuere auf den Linsenraum im Geschäft zu. Ein anderer älterer Herr der sich ebenso im Laden befindet möchte mit seinen zwei Blondinnen, ich nehme an seine Ehefrau und Tochter, auf einen Beratungstisch zusteuern. Unsere Wege kreuzen sich. Linsenraum ist rechts und Beratungstisch ist links. Ein kurzer Moment einer von uns beiden muss nachgeben, damit wir nicht mit den Köpfen zusammencrashen. Ich lasse ihm einen zweiten Moment, aber offensichtlich hat dieser Mann keinen Knigge gelesen, weil er keine höfliche Vorfahrt anbietet und offensichtlich hat er auch keinen Respekt vor dem was ich (als Frau) will, also rechts zum Raum gehen.
Als er schon zum Losgehen startet und mich offensichtlich überrennen will, denk ich mir „Ich hab dich, du Depp, durchschaut. Mit mir nicht! Ich denke nämlich schneller als du es in deinem Umfeld vielleicht gewohnt bist und lasse mir sowas nicht gefallen,“ setze einen Schritt schneller als er und habe ihm somit die Vorfahrt genommen.
Mit dem hat er offensichtlich nicht gerechnet. Während ich zielstrebig zum Linsenraum weitermarschiere, höre ich den Mann hinter mir quer durchs ganze Geschäfte an mich gerichtet schnauben: „Hama a Problem. So eine Frechheit“.
„Musste das jetzt sein,“ denke ich mir und nehme im Linsenraum meine Linsen vor dem Waschbecken aus meinen Augen. Als ich wieder den Verkaufsraum betrete und mir meinen zugeteilten Beratungstisch suche, sehe ich wie mich der Mann mit kleinen bösen Augen von seinem Sitzplatz aus fixiert und Schimpfwörter über mich vor sich hermurmelt.
„Armseliger Scheißer“ denke ich mir. „Hab ich nur weil ich schneller gedacht habe und mir meinen Respekt geholt habe, sein offensichtlich wenig vorhandenes Männer-Ego gekränkt? Hab ich offensichtlich seine Welt in der er lebt zerstört: Weib du bist dumm und weißt nichts. Weib hier wird nur gemacht was ich immer will. Mir kommen die Tränen. *uah*“ Ich grinse ihn mit einem breiten Lächeln an, was scheinbar seinen Puls nochmals um einiges höher schlagen lässt. Sein schimpfen wird lauter. Mittlerweile schauen schon einige Verkäufer und Kunden hin. Ich grinse ihn noch weiter an und tu so als wenn ich ihn nicht verstehen würde. „Man der ist ja armselig,“ denke ich mir weiter und drücke ihm bewußt mit meinem Lächeln noch mehr auf seine Wunde.
Mein innerer Kritiker meldet sich mittlerweile. „Hallo muss das sein, sagt er mir. Warum tust du das? Verhalte dich jetzt einfach ruhig, OK? Menschen offensichtlich in eine Wunde drücken ist kein schöner Zug. Das ist nicht nett. Reiß dich zusammen. Sei lieb. Artig und nett wie alle anderen auch.“
„Aber der Mann wollte mich übergehen. Der Mann wollte nicht sehen, dass es mir schlecht geht. Der Mann wollte sein Recht durchsetzen ohne Rücksicht auf mich. Dann habe ich mich durchgesetzt und dann wollte er mich beleidigen. Hallo, ich hätte ihn nicht beleidigt, vielleicht mit Gedanken aber nicht verbal.“ konntert ein anderes inneres ICH meinen Kritiker.
Ich setze meine neue Brille auf und der Hartlauer-Verkäufer überprüft den Sitz. Während wir mit der Brillen-Anpassung beschäftigt sind kommt der Mann, mit seinem Anhang, bevor er das Geschäft entgültig verlässt an meinen Beratungs-Tisch vorbei und schimpft nochmals gehörig los in meine Richtung. Ich schüttle nur den Kopf und bin erschüttert wie wenig sich dieser Mann im Griff hat, wegen so einer Nichtigkeit derartig die Nerven zu verlieren und vor sich hinzuschimpfen. Am liebsten würde ich ihm nachschreien: „Keep cool Mann, ich weiß nicht was ich dir getan habe…“ reiß mich aber gerade noch zusammen.
Hallo mir passt auch vieles oftmals nicht, aber manchmal ist es einfach wichtig den Mund zu halten. Vorallem bei Fremden, wenn es um nichts geht oder doch? Was hab ich ihm den getan? Meine Gedanken rasen.
Ich bin stur und mein Herz ist gerade nicht bereit meinen Kopf die Vorfahrt zu geben. Weil mein Kopf würde verdammt genau wissen, dass dieser Mann auch seine Geschichte hat und es wahrscheinlich nicht böse meinte. Mein Kopf weiß auch, dass ich extrem stur und provokativ werden kann, wenn ich das Gefühl habe, dass meine Meinung, Wünsche einfach übergangen werden. Vorallem wenn ich selber ein bisschen Raum brauche. Auch ich meine es nicht böse und auch bei mir steckt ebenso eine besondere, sehr schmerzhafte, Geschichte dahinter. Wer gibt also nach? Wann gebt ihr nach ohne Euer Gesicht vor Euch selbst zu verlieren?
Ich schleppe mich wieder rüber in meine Wohnung. War das nun wieder der erste menschliche Kontakt seit Tagen?
Toll!?
Danke. Kann gerne darauf verzichten.
Liebe Grüße an deinen inneren Kritiker! Gut, dass er es so schwer mit dir hat. 🙂
Hallo liebe Daniela, danke für dein Kommentar. 🙂 🙂 🙂 Ich freue mich sehr, wenn es vielleicht da draußen Menschen gibt denen es ähnlich geht. Alles liebe, Doris
Liebe Doris, ich verfolge ja jetzt deinen Blog schon eine ganze Weile und finde deine Beiträge sehr gelungen weil- so richtig aus dem Leben! Außerdem muss ich feststellen dass ich mich in diesen oder ähnlichen Beschreibungen sehr oft wiederfinde, deine Zeilen berühren mich weil ich mich auch für einen sensiblen Menschen halte der seine Umwelt bewusst wahrnimmt und auf die kleinste Kleinigkeit reagiert- und wohl auch nicht immer „richtig“. Solche Begegnungen wie deine oben beschriebene sind auch mir nicht unbekannt und ich dachte immer „sowas passiert nur mir“- scheinbar widerfährt sowas auch anderen Menschen und auch die Tasache dass sich dann nach solchen doofen Situationen meine innere Stimme meldet und meint „Hey musste das jetzt sein“ kenne ich nur zu gut. Der Mensch handelt oft widersinnig oder/ und unlogisch. Man ist halt nur Mensch mit Schwächen, Fehlern, aber auch Stärken und Talenten….
Wie gesagt ich erkenne mich sehr oft wieder in deinen Texten- danke dafür!
Alles Liebe, Daniela
Oje Doris, na das war ja einer von der ganz netten Sorte. Tut mir echt leid und ich hoffe du wirst bald wieder fit und komplett gesund.
Liebe Grüße
Tanja
Danke liebe Tanja. Liebe Grüße Doris